Was ist People First?
Also die Idee der People First-Bewegung hat 1973 angefangen. 1973 gab es eine Tagung der kanadischen Lebenshilfe-Bewegung. Dort wurde auch über das Thema Selbstbestimmung gesprochen. An diesem Treffen nahmen auch Vertreter aus Oregon/USA teil. Nach ihrem Besuch in Kanada trafen sich die Leute aus Oregon weiter als Gruppe. Sie redeten darüber, welche Rechte sie haben wollten. 1974 machten die Leute aus Oregon ihre erste kleine Tagung. Bei diesem Treffen kam zum ersten Mal der Name »People First« auf. Das heißt »Mensch zuerst«. Der Begriff ist wichtig, weil die Worte »Menschen mit geistiger Behinderung« sehr diskriminierend und entwürdigend sind. Und viele mögen die Worte »geistig behindert« auch nicht. Bei dieser Tagung sind dann ganz schön viele Leute aufgetaucht. Sogar die regionale Presse war vertreten und hat richtig groß berichtet.Zwischen 1974 und 1993 haben sich in Nordamerika über 700 Selbstbestimmungsgruppen gegründet. Die meisten Gruppen wurden von Menschen aus Werkstätten und Wohnheimen oder sonst irgendwelchen großen Behinderteneinrichtungen gegründet. Anfang der 80er Jahre wurde im Staate Washington das erste nationale People First Projekt eröffnet. Dort war ein hauptamtlicher und ein ehrenamtlicher Mitarbeiter beschäftigt. Im selben Jahr fand auch der erste internationale People First Kongress in Oregon statt, wo 1300 Betroffene teilnahmen. Es wurden immer mehr politische Themen besprochen. 1988 fand in London die zweite internationale People First Konferenz mit dem Motto statt: »Eine eigene Stimme haben jetzt und in Zukunft«. Seit 1989 wurde in den USA von von führenden People First Mitgliedern über die Gründung einer nationalen People First Organisation nachgedacht. In Kanada wird der Verein People First Kanada gegründet. Er trat an der Stelle des kanadischen People First Projektes, das vom Staat unterstützt wurde. Der kanadische People First Verein ist damit eine der wichtigsten Stellen in Kanada, an die sich kleinere People First Gruppen wenden können. 1993 war in Toronto die dritte dritte internationale People First Konferenz mit dem Motto »Geschichten werden gefeiert«.Und die einzige deutschsprachige Delegation, die da war, kam aus Österreich. Ein schwaches Stück für Deutschland!
Was machen die People First Gruppen so alles?
Die Gruppe aus Oregon hat beispielsweise seit Beginn ihrer Gründung 1974 versucht, die größte Behinderteneinrichtung »Fairview« zu schließen. Dieses hatten sie dann 1997 auch geschafft. Judy Cunio, eine der Gründungsmitglieder der People First Bewegung,
Und was ist in Europa und Deutschland passiert?
1990 kommen erstmals in Europa Leute mit sogenannter geistiger Behinderung zu einem Treffen. Sie fordern mehr Wahlmöglichkeiten beim Wohnen und Arbeiten. Sie beschließen, sich mehr untereinander auszutauschen. Mit People First Deutschland hat es bei der Tagung in Duisburg angefangen. 1994 wurde der Duisburger Lebenshilfekongress unter dem Motto »Ich weiß doch selbst, was ich will« mit über 1 000 Teilnehmer/innen mit sogenannter geistiger Behinderung, Eltern und Fachleuten veranstaltet. Betroffene und Fachpersonal sprechen erstmals in großer Runde über Selbstbestimmung und Selbstvertretung. Sie verabschieden eine Akklamation (= Abstimmung durch Beifall): Wir wollen unser Leben selbstbestimmt in die eigene Hand nehmen. Nach dem Kongress fangen immer mehr Betroffene in Deutschland an, People First Gruppen zu bilden. Seit 1995 finden People First Seminare von der Lebenshilfe, von bifos e.V.[1] und von ISL e.V.[2] statt. Seit Anfang 1995 haben sich in Deutschland einige Selbstbestimmungs- und Selbstvertretungsgruppen gegründet. Anfang Dezember 1996 gab es das erste bundesweite Treffen in Melsungen von People First Deutschland. Seit 1996 treffen sich Vertreter/innen der verschiedenen Gruppen einmal im Jahr zu einemeinem großen, bundesweiten Treffen. Danach fanden drei People First Tagungen statt, wo sich die Gruppen getroffen und ausgetauscht haben. Inzwischen gibt es in vielen Städten People First Selbstbestimmungsgruppen, wie z. B. in Aßlar, Baunatal, Halle, Gießen und Hamburg. Mittlerweile haben wir über 20 Gruppen. 1997 wurden die ersten Sprecher/innen für People First Deutschland gewählt. Auf der Tagung in Frankfurt am Main (21.-24.09.2000) wollen wir von People First Deutschland unter dem Motto »Wie sieht die Zukunft von uns aus?« ein bundesweites Netzwerk gründen. Das Netzwerk wird ein lockerer Zusammenschluss von vielen Gruppen, Einzelpersonen, Firmen usw., die mit People First zusammenarbeiten wollen, um ihre Ziele besser durchsetzen zu können.
People First Gruppen sind Selbsthilfegruppen
Die Mitglieder einer People First Gruppe sind meistens Leute mit Lernschwierigkeiten und höherem Unterstützungsbedarf, welche meistens in Werkstätten für Behinderte arbeiten. Ein ganz wichtiger Grund, sich in der Gruppe zu treffen, ist der Wille, sich selbst und anderen zu helfen und sich gegenseitig zu unterstützen. Die People First Gruppen suchen sich ihre Unterstützer/innen selbst aus. Wir wollen mit anderen, die die gleichen Ideen haben, zusammenkommen und darüber diskutieren können. Die Leute in People First Gruppen sprechen meistens über folgende Probleme:
nicht barrierefreie Zugänge
Wie funktionieren Anträge?
Probleme mit Eltern und Verwandten
Probleme mit Werkstätten und Wohnheimen, und mit der öffentlichen Meinung
Probleme bei der Freizeitgestaltung
Probleme beim selbstbestimmten Wohnen
andere bevormunden uns, nehmen uns nicht ernst.
Eine wichtige Sache ist auch, dass die Gruppen sich in der Öffentlichkeit bekannt machen, z. B. in Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen oder auch durch Demonstrationen. Die gemeinsame Arbeit gibt uns Selbstbewusstsein und mehr Sicherheit im Leben mit anderen Menschen. Unsere Ziele sind, dass wir in der Gesellschaft mehr akzeptiert und anerkannt werden. Wir wollen zeigen, was wir können. Wir wollen, dass leichte Sprache benutzt wird, weil wir viele Fremdwörter nicht gut verstehen. Und weil dies sehr schwierig durchzusetzen durchzusetzen ist, fordern die Gruppen ein Gleichstellungsgesetz.
People First Weltkongress in Alaska
Ich bin als eine der Sprecherinnen der People First Gruppe ausgewählt worden, People First Deutschland auf dem Weltkongress in Alaska zu vertreten. Er fand vom 23.-25.04.1998 in Anchorage statt. Auf der Tagung waren knapp 1 000 Leute aus verschiedenen Ländern. Wir haben über die UNO Erklärung über die Gleichstellung von Menschen mit Beeinträchtigungen (»Standard Rules«), People First in Europa und unsere Forderungen gesprochen. In einem Workshop haben wir darüber diskutiert, wie wir selbstbestimmt handeln können. Hier einige Auszüge aus dem Workshop, die immer noch gültig sind:
Was ist falsch? Welche Probleme haben wir?
Wir können mehr machen als uns zugetraut wird.
Wir wollen nicht kontrolliert werden.
Wir wollen mehr Freunde haben.
Wir wollen klare und verständliche Informationen.
Wir wollen stärker werden in der Gemeinschaft.
Wir wollen mit behindertengerechten öffentlichen Verkehrsmitteln überall hinkommen.
Wir haben ein Recht auf Erziehung gemeinsam mit anderen Kindern – alle Kinder gehören dazu.
Wir haben ein Recht auf ein eigenes Zuhause.
Wir haben ein Recht auf Eigentum.
Wir haben ein Recht auf Ausbildung.
Wir haben ein Recht auf Unterstützung außerhalb von Einrichtungen.
Wir wollen nicht weiter wegen unserer Behinderung diskriminiert werden.
Wir haben ein Recht, normal als Menschen wahrgenommen zu werden.
Was wir selber tun können – 7 Tips um Kraft, zu sammeln Erhebe deine Stimme! Habt keine Angst zu sprechen!
Jeder ist eine wichtige Person! Kenne deine Stärken und Fähigkeiten!
Steht für euch selber ein!
Tut euch mit anderen Betroffenen zusammen! Hört euch gegenseitig zu! Versucht andere zu verstehen und euch gegenseitig zu unterstützen!
Lernt eure Rechte kennen! Lerne deine Unterstützungsmöglichkeiten kennen!
Wählt selber aus, was Ihr wollt und was nicht!
Erweitert euren Freundeskreis und bezieht Bekannte mit ein! Lernt zu organisieren und andere zusammenzubringen!
Der Weltkongress von People First war eine gute Möglichkeit, sich mit Betroffenen aus anderen Ländern auszutauschen. Die Situation in den verschiedenen Ländern ist zwar unterschiedlich, aber überall ist es notwendig, dass sich Betroffene für ihre Rechte einsetzen. Ich habe die Arbeit von People First in Deutschland vorgestellt und eine kleine Rede auf Englisch gehalten. Es war gut, neue Wörter auf Englisch zu lernen und zum Glück hatte ich mit Ulli Niehoff auch einen guten Übersetzer.Die Tagung war auch der Beginn einer Zusammenarbeit von People First Gruppen in Europa. Wir haben uns mit Vertreter/innen von verschiedenen People First Gruppen in Europa zusammengesetzt und uns über unsere Arbeit ausgetauscht. Die People First Gruppen kamen aus Irland, Schweden, Großbritannien, Deutschland und Belgien. Wir haben eine Partnerschaft gegründet und wollen in Zukunft in Europa zusammenarbeiten. Dafür haben wir auch Geld von der Europäischen Union bekommen.Auf dem Weltkongress wurden auch die Rahmenbestimmungen für die Herstellung der Chancengleichheit für Behinderte (»Standard Rules«) der UNO diskutiert. Ich finde die 22 Regeln in den UN-Rahmenbestimmungen gut und wichtig und habe sie deshalb am Ende meines Artikels eingefügt.Rehabilitation: Die Staaten sollen die Bereitstellung von Rehabilitationsdiensten für Behinderte gewährleisten, damit diese ein Höchstmaß an Unabhängigkeit und Leistungsfähigkeit erreichen und erhalten können. Unterstützungsdienste: Die Staaten sollen für den Aufbau und die Bereitstellung von Unterstützungsdiensten, einschließlich technischer Hilfen, sorgen, damit Behinderte in ihrem täglichen Leben ein größeres Maß an Unabhängigkeit erreichen und ihre Rechte ausüben können. Behindertengerechte Umwelt: Die Staaten sollen bei der Herstellung der Chancengleichheit in allen Gesellschaftsbereichen die allgemeine Bedeutung einer behindertengerechten Umwelt erkennen. Die Staaten sollen für Menschen mit Behinderungen, gleich welcher Art, (a) Aktionsprogramme für eine behindertengerechte Gestaltung der Umwelt einführen und (b) Maßnahmen ergreifen, um den Zugang zu Informationen und Kommunikationsmöglichkeiten zu gewährleisten.
Bildung: Die Staaten sollen das Prinzip der Chancengleichheit für behinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene in den Grundschulen, weiterführenden Schulen und im Hochschulbereich in einem integrativen Umfeld anerkennen. Sie sollten sicherstellen, dass die Bildung Behinderter ein integrierender Bestandteil des Bildungssystems ist.
Beschäftigung: Die Staaten sollen den Grundsatz anerkennen, wonach Behinderte dazu befähigt werden müssen, ihre Menschenrechte wahrzunehmen, insbesondere im Bereich der Beschäftigung. Sowohl im ländlichen als auch im städtischen Bereich müssen Behinderte Chancengleichheit im Hinblick auf eine produktive Erwerbstätigkeit auf dem Arbeitsmarkt genießen. Einkommenssicherung und soziale Sicherheit: Die Staaten sind für die soziale Sicherung und die Einkommenssicherung Behinderter verantwortlich. Familienleben und freie Entfaltung der Persönlichkeit: Die Staaten sollen die volle Teilhabe Behinderter am Familienleben fördern. Sie sollen ihr Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit fördern und sicherstellen, dass Behinderte hinsichtlich ihrer sexuellen Beziehungen, der Ehe und der Elternschaft nicht durch Rechtsvorschriften diskriminiert werden. Kultur: Die Staaten werden sicherstellen, dass Behinderte gleichberechtigt in kulturelle Aktivitäten einbezogen werden und daran teilnehmen können. Freizeit und Sport: Die Staaten werden Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass Behinderte ein gleichwertiges Angebot an Freizeit- und Sportmöglichkeiten haben. Religion: Die Staaten werden Maßnahmen für die gleichberechtigte Teilhabe Behinderter am religiösen Leben der Gemeinschaft fördern. Information und Forschung: Die Staaten übernehmen die oberste Verantwortung für die Sammlung und Verbreitung von Informationen über die Lebensbedingungen Behinderter und fördern die umfassende Erforschung aller Aspekte, einschließlich der Hindernisse, die das Leben Behinderter beeinträchtigen. Grundsatzpolitik und Planung: Die Staaten werden sicherstellen, dass behinderungsbezogene Gesichtspunkte in die gesamte maßgebliche Grundsatzpolitik und staatliche Planung einfließen. Gesetzgebung: Die Staaten haben die Aufgabe, die gesetzlichen Grundlagen für Maßnahmen zu schaffen, die es ermöglichen, die Ziele der vollen Teilhabe und Gleichberechtigung Behinderter zu erreichen. Wirtschaftspolitik: Die Staaten tragen die finanzielle Verantwortung für nationale Programme und Maßnahmen zur Herstellung der Chancengleichheit für Behinderte. Arbeitskoordinierung: Die Staaten sind für die Einrichtung und Stärkung nationaler Koordinierungskomitees oder ähnlicher Organe verantwortlich, die als Anlaufstellen für Behindertenangelegenheiten dienen sollen. Behindertenorganisationen: Die Staaten sollen das Recht von Behindertenorganisationen anerkennen, Behinderte auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene zu vertreten. Die Staaten sollen außerdem die beratende Rolle der Behindertenorganisationen bei Entscheidungen in Behindertenangelegenheiten anerkennen. Ausbildung von Personal: Die Staaten sind dafür verantwortlich, dass das mit der Planung und Bereitstellung von Programmen und Diensten für Behinderte befasste Personal auf allen Ebenen eine fachgerechte Ausbildung erhält. Überwachung und Evaluierung der Behindertenprogramme auf nationaler Ebene in bezug auf die Anwendung der Rahmenbestimmungen: Die Staaten sind für die laufende Überwachung und Evaluierung der nationalen Programme und Dienste zur Herstellung der Chancengleichheit für Behinderte verantwortlich. Technische und wirtschaftliche Zusammenarbeit: Die Staaten, das heißt Industriestaaten wie Entwicklungsländer, haben die Aufgabe, bei der Verbesserung der Lebensbedingungen Behinderter in den Entwicklungsländern zusammenzuarbeiten und diesbezügliche Maßnahmen zu ergreifen. Internationale Zusammenarbeit: Die Staaten werden sich aktiv an der internationalen Zusammenarbeit zur Herstellung der Chancengleichheit für Behinderte beteiligen.
Dieser Bericht wurde geschrieben von Mitarbeiterinnen des Projekts »Wir vertreten uns selbst« Anke Orbitz, Arnd Kunau und Werner FreudensteinSind das Mitautorinnen??? Ja, die Mitautorinnen sollen am Ende Ihres Textes stehen.